Menschen interessieren sich für Menschen, nicht für Perfektion

KI-Nutzung in Abschlussarbeiten

Mit einem erschöpften Seufzen schiebt der Universitätsdozent die Arbeiten seiner Studenten über den Schreibtisch und reibt sich müde die Augen. Viele Arbeiten, das ist ihm klar, wurden mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt, ein zunehmender Teil nahezu vollständig – obwohl die möglichen Konsequenzen eindeutig sind. Es langweilt ihn, KI-generierte Arbeiten zu lesen und zu prüfen.

Gute wissenschaftliche Praxis

Er rät allen Studenten, ihre Arbeiten eigenständig zu verfassen, nicht nur, weil sie das am Ende mit ihrer Unterschrift bezeugen, sondern auch, um zu lernen, wie eigenständige Gedanken und Standpunkte entwickelt und vermittelt werden, um mit anderen in einen Diskurs einzutreten. Alles andere ist extrem langweilig und ermüdend. Kann nachgewiesen werden, dass gegen die Eigenständigkeitserklärung verstoßen wurde, gilt das als Betrugsversuch. Aber selbst, wenn der Fall nicht so eindeutig ist – mit sehr guten oder guten Noten belohnt er diese Arbeiten nicht, denn es fehlt den Erstellern am wirklichen Verständnis der wissenschaftlichen Arbeitsweise.

Ab und an findet er eine Arbeit, die anders ist. Unperfekt und offensichtlich selbstverfasst. Er kann sehen, welche Gedankengänge und Bearbeitungsansätze der Autor verfolgt hat, findet gute oder überraschende Argumentationen, die abweichen, und spürt das Leben und die Neugier in der wissenschaftlichen Arbeit. Im besten Fall ergeben sich aus Widersprüchen interessante, neue Ansätze für neue Forschungen.

KI sinnvoll als Werkzeug einsetzen

KI-generierte Arbeiten können das so nicht leisten. Sie spiegeln nicht wider, wie der Autor bestimmte Informationen persönlich bewertet und einschätzt, sondern stellen lediglich eine mathematisch-formale Annäherung an das dar, was man oberflächlich von einer wissenschaftlichen Arbeit erwarten würde, und sind somit nur das Imitat einer Forschungsleistung. Die Ergebnisse bleiben generisch und schablonenhaft. Innovative, neue, individuelle Antworten können so nicht entstehen. Doch genau das ist der Sinn von Wissenschaft. Wissenschaftliches Arbeiten, das Fundament der Wissenschaft, ist nicht nur ein Werkzeug, dessen Nutzung erlernt und geübt werden will, sondern auch eine Grundhaltung. Wer sich das alles von der KI abnehmen lässt, riskiert nicht nur seinen Abschluss, sondern verpasst auch die Chance, wichtige Fertigkeiten zu erlernen und das eigene analytische Denken weiterzuentwickeln.

Die KI kann sinnvoll und wissenschaftlich korrekt zur Unterstützung herangezogen werden, etwa wenn es um die Auswertung großer Datenmengen geht. Viele Universitäten und Hochschulen erlauben einen solchen Einsatz von KI mittlerweile, aber das muss transparent geschehen und entsprechend gekennzeichnet werden.

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Kerstin Loran

Als studierte Journalistin mit langjähriger Berufserfahrung in Zeitungsredaktionen und Werbeagenturen sowie als freie Autorin ist sie mit allen Wassern gewaschen.

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